Leben in der Gnade

„Auf vielfache und mannigfaltige Weise hat Gott vor Zeiten durch die Propheten zu den Vätern gesprochen. In dieser Endzeit hat Er durch Seinen Sohn zu uns gesprochen“ (Hebr. 1,1f.). Sind wir uns der Gnaden, die Gott uns schenkt, aber auch wirklich bewusst?
Heute, da uns tagtäglich vor Augen geführt wird, welcher Schrecken falsche Religionen und falsche religiöse Einstellungen unter den Menschen verbreiten können, sind wir herausgefordert, für die Wahrheit und damit für die wahre Offenbarung Gottes, der uns in Seinem Sohn Jesus Christus rettet und begegnet, Zeugnis abzulegen. Zugleich müssen wir uns wie die Urchristen oder wie einst die Missionare in fernen Ländern auch mit gefährlichen und bedrohlichen Auffassungen falscher Religionen auseinandersetzen und sie bekämpfen.
Wenn schon den Propheten des Alten Bundes der vollkommene Blick auf die Güte Gottes oft nicht ausreichend möglich war, wie sehr leidet das Heidentum unter der Abwesenheit der Wahrheit in übernatürlicher Hinsicht.
Die „Heidenangst“, wie sie sprichwörtlich in unserem Sprachschatz noch vorhanden ist, war und ist dort unausweichlich, wo man, zwar spürt, dass zwar der Mensch und sein Leben nicht aus sich selbst herleitbar und verstehbar sind, sondern von einer höheren Macht abhängen, wo man aber zugleich wegen der Blindheit für die wahre und übernatürliche Offenbarung Gottes diese höhere Macht nicht kennen und ihr so auch nicht vertrauen kann.
Man erfasst undeutlich eine jenseitige Wirklichkeit, aber man weiß nicht, wie man ihr genügen kann, zumal die menschliche Schwäche ohne den wahren Gott und Seine Gnade sich nicht selbst aus Unvollkommenheit und Sünde befreien kann. Wenn man den wahren Gott nicht mehr kennt, verfällt man so den Fängen von Dämonen. Wenn eine Macht hinter oder über einem steht, die man nicht kennt, so dass man nie weiß, ob man ihrem Willen auch genügt, dann erzeugt dies ein Gefühl der Unsicherheit und auch der Angst. Wie merkwürdig waren und sind deshalb die Versuche von Heiden, ihre Götter zu „besänftigen“, aber auch welche grausamen Auswüchse kann ein falsches oder unvollkommenes Gottesbild auf der Welt hervorrufen, bis zum Hinschlachten von Menschen, wie wir es auch heute noch erleben!
Der Mensch ist und bleibt religiösen oder besser pseudo-religiösen Forderungen ausgeliefert, zugleich aber immer auf die eigene „Leistung“ diesen Forderungen gegenüber zurückgeworfen. Dieses Kreisen um die eigene Leistung ist dabei aber nicht nur im Heidentum, das Gott in Wahrheit gar nicht kennt, ein Problem, sondern auch im Alten Testament, als Gottes Willen und Sein Wesen ebenfalls erst recht unzureichend bekannt waren.
Die Wahrheit des Christentums zeigt sich auch darin, dass es diese menschliche Fixierung auf die eigene Leistung verlässt, über sie hinausweist und so wirklich Gott ansieht und zu Ihm hinführt. Der Blick auf Jesus macht klar, wie Gott selbst dem Menschen den Weg aus der Sackgasse der eigenen Schwäche und Sünde geöffnet hat, aus der er sich trotz aller pharisäischer Anstrengung im Alten Bund, erst recht natürlich im Heidentum, nicht selbst befreien konnte!.
In Jesus Christus hat sich nämlich die Gnade Gottes geoffenbart. Der Mensch ist und bleibt verantwortlich für sein Tun, doch er ist nicht mehr allein. Ein neues Leben wurde uns geschenkt, das uns auch innerlich umgestaltet. Durch die Gnade durften wir zu neuen Menschen werden, die nicht mehr nur für und von sich leben, sondern in der Liebe und Gnade Jesu Christi! Von uns wird zwar das Tun des Guten gefordert, aber wir dürfen erkennen, dass wir dies nur mit der Gnade Gottes vollbringen können.
Von Jesus Christus wurden wir zum Neuen, wahren und endgültigen Bund mit Gott berufen! Wir sind nicht mehr allein, Jesus Christus, Gottes Sohn ist an unserer Seite und geht mit uns auf dem Weg zu unserem letzten und ewigen Ziel. Er begleitet uns nicht nur, Er weist uns den Weg, ja Er ist der Weg, ohne den wir nie beim Vater ankommen! Gott selbst hat den ersten Schritt der Gnade auf uns zu getan, wir sind zur Antwort in einem Bund der Liebe berufen!
Wie wenig schätzen wir Christen oft diese unvorstellbar erhabene Berufung! Wie selten danken wir für die Gnade, die uns in der Taufe und in den anderen Sakramenten geschenkt wird! Wie wenig sieht man uns diese Gnade im Alltag an, wie wenig lassen wir sie in unserem täglichen Leben an uns wirksam werden!
Wir handeln oft weiter wie die Heiden, die Gott nicht kennen. Wir straucheln oder verzetteln uns in unnützen Dingen, weil wir das Bewusstsein unseres neuen Gnadenstandes in Christus oft so wenig am Leben erhalten, weil wir so wenig darum bitten, dass Er mit Seiner Gnade uns auf dem rechten Weg führe und erhalte.
Wir gehen oft entweder gleichgültig oder aber hochmütig durchs Leben, ähnlich wie Heiden, die Gott gar nicht kennen! Vielleicht ist da die Not der Kirche heute auch ein Anruf Gottes, uns wieder auf Seine Hilfe und auf Seine Gnade zu besinnen! Der liebe Gott zeigt uns, wie wenig wir aus eigener Kraft tun können, obwohl wir berufen sind, uns für das Gute einzusetzen und es zu verwirklichen!
Gnade heißt ja nicht, wie es die protestantischen Reformatoren des 16. Jahrhunderts fälschlich behaupteten, dass der freie Wille und die Gottebenbildlichkeit des Menschen wegen der Sünde völlig ausgeschaltet seien. Wenn wir ehrlich sind, merken wir: Der Mensch ist durch die Sünde zwar verwundet, aber er bleibt doch ein Geschöpf Gottes. Er trägt so auch nach der Ursünde immer noch einen Rest des Bildes Gottes und der sittlichen Wahrheit, die stets ein Aufruf zum Guten ist, in sich. Die Gnade Gottes knüpft gerade an diesen Rest von Gottebenbildlichkeit und Freiheit an. Sie ersetzt die menschliche Tätigkeit nicht, aber erhöht sie. Wäre es nur die Gnade allein, die wirkt, dann wäre ein wahrer Bundesschluss nicht mehr vorstellbar, der ja die freie Antwort und die Mitwirkung des Menschen voraussetzt!
Lassen wir uns in unserem Alltag durch die Rückbesinnung auf die Gnade Gottes, die uns in Jesus Christus geschenkt wurde, immer wieder innerlich stärken und erneuern. Nur in diesem dankbaren, aber auch zur Nachfolge bereiten Sinn können wir die Freude und den Frieden Gottes in unserem Herzen tragen und an andere weitergeben. Wir können Großes tun, ohne dadurch dem Hochmut zu verfallen, wir werden aber auch bei Schwierigkeiten nicht verzagen, weil wir wissen, dass nicht wir selbst den Erfolg herbei führen können, sondern nur Derjenige, der hinter all unserem Mühen allein das Gute bewirken kann, zu dem Er aber auch uns mit unserer Bereitschaft und unseren kleinen Beiträgen und Opfern beruft!
Wir gehen so unseren Weg nicht mehr allein und tragen auch unsere Not, auch die kirchliche und gesellschaftliche, nicht allein, sondern wir gehen mit Jesus Christus und in der Gnade des Heiligen Geistes zum Vater, wie auch alle Heiligen des Neuen Bundes, allen voran die Gottesmutter Maria, die uns deshalb in diesem besonders in diesem Monat des heiligen Rosenkranzes viele Gnaden erflehen möge, vor allem auch im Hinblick auf all die Schwierigkeiten, mit denen die heilige katholische Kirche heute zu kämpfen hat!
Denken wir dankbar daran, wie viele Gnaden uns der liebe Gott schon geschenkt hat, aber auch daran, dass jedes Kreuz selbst eine Gnade ist, wenn es in Liebe und in der Nachfolge Christi mit Ihm getragen wird, weil im Kreuz die Größe und Güte Gottes erst groß und stark in Erscheinung tritt und wirksam werden kann!

Thomas Ehrenberger

 

 

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